Theater > Qualifikationsspiel
Der Mann:
Was ich mir wünsche? Eine ganz normale Frau, die akzeptiert, daß ich nicht übermäßig belastbar bin, die einsieht, daß jede sinnlose Aufregung schlecht für meinen depressiven Zustand ist, die sich nicht beschwert, wenn mir beim Fernsehen ein Soletti hinunterfällt, sondern es in Ruhe wieder aufhebt, die mich nicht bedrängt, wenn ich keine Lust auf sie habe, die versteht, daß ich grundsätzlich lieber allein schlafe, die es mir nicht vorhält, wenn ich ein paar Tage darauf vergesse, sie zu küssen, und die über meine kleinen Eigenheiten großzügig hinwegsieht. Sie darf auch ruhig ein paar Fehler haben, wenn sie unseren Alltag nicht wesentlich beeinträchtigen.
Die alte Frau:
Es wird ja mit zunehmendem Alter nicht leichter. Man denkt beim Küssen nicht mehr an die Empfängnis, sondern an die Gleitcreme. Man möchte ihn leidenschaftlich beißen, aber man wagt es nicht mehr, wegen der schlecht sitzenden dritten Zähne. Wenn einem der Mann das Oberteil aufmacht, glaubt man, der Busen wird gleich wie eine Lawine zu Tal stürzen. Seine ohnehin nicht sehr stabile Erektion fällt bei diesem Naturschauspiel in sich zusammen. Als junges Mädchen habe ich gedacht, wie liege ich richtig, wie sehe ich dabei am günstigsten aus, heute denke ich an meinen Bluthochdruck und spüre jede heftigere Körperbewegung in den Gelenken. Alles wird immer anstrengender. Man denkt nicht mehr an die geilste Stellung, sondern an eine halbwegs schmerzfreie.
Judith:
Ich treffe dauernd auf Männer in Ihrem Alter, die mit ihrer Mutter unterm Christbaum stehen. Ich treffe Männer, die mich schon um sechs Uhr treffen wollen, weil sie um halb zehn Uhr zu Hause sein müssen. Sie streicheln vorm Einschlafen nicht mich, sondern schmieren den Rücken ihrer Mutter mit Rheumasalbe ein. Sie ziehen nicht mir die Unterwäsche aus, sondern ihrer Mutter die Überhose aus Gummi an. Sie haben nie Hunger, weil ihre Mutter schon für sie gekocht hat. Sie tragen feingerippte Baumwollunterhemden und gebügelte Unterhosen mit Beinansatz, die ihnen ihre Mutter zu Weihnachten geschenkt hat. Ich habe das immer total verstanden, daß Männer Weihnachten mit ihrer Mutter verbringen und nicht bei mir. In diesem Land verbringen alle Männer Weihnachten mit ihrer Mutter oder ihrer Exfrau. Die Freundin oder Geliebte kommt erst nach den Heiligen Drei Königen wieder.
Maria:
Nein, nein, nein, bin ich vielleicht verrückt? Ich bin vielleicht so verrückt, daß ich mir einrede, meinen Mann zu lieben, aber das muß ich mir ja einreden, sonst drehe ich noch völlig durch. Jedes Mal, wenn wir miteinander schlafen, und das ist äußerst selten und geht immer sehr schnell, muß ich „Ah’s“ und „Oh’s“ von mir geben, damit er glaubt, er hat mich befriedigt. Glaubt er wirklich, daß er mich in zwei Minuten zum Orgasmus bringt? Hat er mir meine „Ah’s“ und „Oh’s“ wirklich abgenommen? Sie hatten ganz andere Gründe. (Sie ahmt es nach): Ah – ich habe vergessen, Eier einzukaufen. (Sie stöhnt lauter): Aah – die Stromrechnung muß ich auch noch einzahlen. (Sie stöhnt noch lauter): Aaah – am Wochenende kommen seine Eltern zu Besuch, und ich kann mir wieder anhören, wie froh ich sein muß, ihn zum Mann zu haben. (Sie schreit): Oh! Ah! Oh!
Aus dem Stück „Qualifikationsspiel“ von Silke Hassler
Aufführungsrechte: Thomas Sessler Verlag, Wien