Musiktheater > Endlich Schluss
Mein Libretto „Endlich Schluß“ basiert auf dem gleichnamigen Theaterstück von Peter Turrini. Das Theaterstück ist in monologischer Form geschrieben, es ist nur eine einzige Figur auf der Bühne, vom Anfang bis zum Ende. Das Schicksal dieser Figur vollzieht sich aus eigenem Antrieb. Der geplante Selbstmord, die Angst vor diesem, aber auch der immer wieder gefaßte Beschluß, ihn doch zu vollziehen, bleibt „im Rahmen“ dieser Figur. Es gibt keine Einflüsse mehr von außen, das Gewesene ist abgeschlossen, der beabsichtigte Selbstmord ist das einzig Gegenwärtige.
Für die Opernfassung, für das Libretto, verlasse ich dieses Modell grundsätzlich. In der Librettofassung gibt es als wesentliches, neues dramaturgisches Element einen Chor. Dieser Chor setzt sich aus jenen Personen zusammen, die in der Vergangenheit der Hauptfigur eine Rolle gespielt haben: seine Eltern, seine Ehefrau, Frauen, der Psychiater, ein Berufskollege etc. Diese Personen nehmen am Anfang die Stellung von Gästen ein, sie sind zu einer Party geladen, auf der die Hauptfigur den beabsichtigten Selbstmord als Partyeinlage, als Witz, verkündet. Aus diesem Witz wird Ernst: Der Hauptdarsteller möchte sein Tun beenden, das Spiel abbrechen, nun aber übernimmt der Chor die Funktion des treibenden Elements. Alle Versuche des Hauptdarstellers, aus seiner Absicht zu flüchten, sein Zählen von eins bis tausend zu beenden, zurückzuzählen, von der Bühne zu rennen, sich auf dieser zu verstecken, werden vom Chor vereitelt. Immer wieder treten einzelne Figuren - die Frau, der Psychiater - aus dem Chor hervor und spielen Szenen aus dem Leben der Hauptfigur nach. Sein Versuch, diese Szenen zu korrigieren, ihnen seine Version entgegenzustellen, scheitert. Die Figuren sind nicht greifbar, sie sind nicht ansprechbar, es kann mit ihnen nicht verhandelt werden. Sie treten nach jeder Szene zurück in den Chor, sind wieder anonym, als Einzelpersonen nicht beeinflußbar.
Der Chor erweist sich mehr und mehr als etwas Archaisches, als Instanz, als Gericht, das sein Urteil über die Hauptfigur von Anfang an gesprochen hat, es gibt kein Entrinnen. Wenn die Hauptfigur aus eigenem Antrieb den Selbstmord weitertreibt, verschwindet der Chor, aber es ist ein trügerisches Verschwinden. Beim geringsten Stocken oder gar dem Versuch des Abbrechens tritt der Chor wieder hervor. Es ist ein Spiel zwischen Leben und Tod.
Mein Libretto stellt eine grundsätzliche Neufassung des Theaterstoffes dar, und dies aus zwei Gründen: Ich folge erstens den Möglichkeiten der Oper und zweitens meiner Überzeugung, daß in der Absicht eines Menschen, sich selbst zu töten, auch das Gegenteil, die Sehnsucht nach dem Leben, der Lebenskorrektur, vorhanden ist.
Silke Hassler
Aufführungsrechte:
Musikverlag Doblinger